Nach dem Femizid am 8. April im Leipziger Auwald haben wir uns unter dem Namen #keinemehr zusammengeschlossen – damit schließen wir uns unseren Freund*innen aus Berlin und anderen Städten an. Wir wollen uns gegen Femizide¹ und männliche Gewalt organisieren, Vorfälle dokumentieren, politisieren und sichtbar machen. Wir wollen die strukturelle Ebene dieser Gewalt aufzeigen und die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren.
Femizide sind die extreme Zuspitzung einer Kette von patriarchalen Gewalttaten gegen Frauen, Mädchen und queeren Menschen – eine Kette, die von sexueller Belästigung in der Öffentlichkeit, Stalking, häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, eben bis hin zum Mord reicht. Folgen wir den Statistiken des Bundeskriminialamtes in Deutschland, versucht jeden Tag ein Mann, “seine” Partnerin oder Expartnerin umzubringen. Jeden zweiten bis dritten Tag gelingt es. Wenn eine Frau sich von ihrem Partner trennen möchte, lebt sie oft gefährlich. Denn zwei Drittel dieser Femizide werden während oder nach der Trennung begangen.
Allein in Deutschland starben im Jahr 2019 135 Frauen durch einen Femizid. Dabei handelt es sich nur um so genannte „Partnerschaftstaten“. Weitere Morde bzw. explizit Morde an Trans*Personen kommen in der Statistik nicht vor. Es handelt sich hierbei allerdings um ein weltweites Problem: Der Kampfspruch Ni una mas – zu Deutsch “Keine Mehr” – verweist auf die kollektive Morddrohung, der Flint*-Personen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit ausgesetzt sind: vonseiten ihrer Partner, Ex-partner oder Väter, aber auch von ihnen unbekannten Vergewaltigern, Serienmördern oder dem organisierten Verbrechen. Im Jahr 2017 wurden laut einer UN-Studie weltweit 50.000 Frauen von Partnern oder Familienangehörigen getötet, die Zahlen steigen. In Mexiko, Argentinien oder Spanien werden Femizide längst als das strukturelle Problem erkannt und benannt, was sie sind und entsprechend skandalisiert und bekämpft. Inzwischen ist Femizid in sehr vielen lateinamerikanischen Ländern ein für sich stehender Straftatbestand. Das ist mit Sicherheit auch der Verdienst der dortigen Bewegungen und der Vehemenz, mit welcher die Forderungen auf die Straße getragen wurden.
Demgegenüber hat kein EU-Mitgliedstaat eine Definition von Femizid in das bestehende Strafrecht aufgenommen. In Deutschland werden Frauenmörder oft milder bestraft als andere Mörder. Häufig sehen Richter*innen und Staatsanwält*innen keines der Merkmale erfüllt, die den Tatbestand des Mordes rechtfertigen würden: etwa niedere Beweggründe oder Heimtücke. Laut einem wegweisenden Urteil des Bundesgerichtshofs von 2008 ist eine sogenannte Trennungstötung nicht durch niedere Beweggründe motiviert, wenn „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“.
Diese Aussage basiert eindeutig auf der patriarchalischen Logik (dieses Systems), dass der Mann seine Partnerin besitzt und somit auch das Recht hat, sich für den Verlust seines vermeintlichen Eigentums zu rächen, selbst wenn er dafür töten muss. Doch auch die Misogynie vieler Männer, die geschlechtsbasierte Abwertung weiblich gelesener Personen, ist Ursache für Femizide. So richtet sich unser Appell auch an den konkreten Mann, an alle Männer, und vor allem an die, die hier zuhören, sich gegen Misogynie einzusetzen und profeministisch Seite an Seite mit uns den Kampf gegen geschlechtsbasierte Gewalt zu führen.
Neben der patriarchalen Rechtsprechung und gesellschaftlicher Misogynie ist es jedoch auch die mediale Berichterstattung, welche skandalisiert werden muss. Denn oft bleiben Femizide eine Randnotiz der Regionalzeitungen, wahlweise mit dem Titel „Familientragödie“, „Eifersuchtsdrama“ oder „Beziehungsdrama“. Wenn der Täter nicht weiß ist oder keinen deutsch-klingenden Namen hat, wird der Ton schon etwas deutlicher. Dann werden Femizide als „Bluttat“ oder „brutale Morde“ bezeichnet. Diese rassistische Aufmachung geht noch weiter. Der LVZ-Chefredakteur bezeichnet diese Morde sogar als “importiertes Problem”. Diese Aussage suggeriert, dass es Frauen- und Queerfeindlichkeit nur in anderen Ländern gebe und immigrierte Männer somit eine Gefahr für Frauen und Queers in Deutschland darstellen würden. Durch das Argumentieren mit einer vermeintlichen Gleichberechtigung, welche nun gefährdet sei, wird aber am Ende nur der eigene Rassismus legitimiert. Denn die Zahlen sprechen eine andere Realität. Es ist egal, woher ein Täter kommt. Sowohl die Täter als auch die Opfer von Femiziden, das zeigen Statistiken, kommen aus allen möglichen Milieus und Bevölkerungsgruppen. Es kann der Nachbar sein, der Ehemann, der gute Freund, der Arbeitskollege. Edris Z., der Mörder von Myriam Z., bewegte sich sogar in linken und alternativen, sich als emanzipatorisch verstehenden Strukturen, worüber bisher kaum geredet wird. Denn ein Femizid – das passt nicht in die eigenen Reihen. Genau daran merken wir, dass patriarchale Denkstrukturen nicht vor der eigenen Wohnungstür, dem eigenen Viertel oder Freundeskreis halt machen.
Was wir daher brauchen ist eine engagierte feministische Aufklärung und Bewusstmachung. Es braucht mehr Reflexion über das Handeln in Partner*innenschaften, zwischenmenschlichen Beziehungen und im öffentlichen Raum. Mit diesem Bewusstsein können wir es schaffen, uns zu solidarisieren und als laute und starke Bewegung den Staat und die Öffentlichkeit unter Druck zu setzen.
Denn egal wie in den Medien über Femizide berichtet wird, eines haben alle verharmlosenden Bezeichnungen gemeinsam: sie stellen Femizide als traurigen Einzelfall dar. Doch Femizide sind kein privates Schicksal, sie haben System! Sie sind Teil der gesellschaftlichen Realität, in der wir alle leben. Die Verschiebung ins Private macht das Gedenken an die Ermordeten schwierig.
Gedenken an Betroffene und Sichtbarmachung der Taten ist eine wichtige politische Praxis um das Private wieder in die Gesellschaft und in das Bewusstsein zu holen. Wir gedenken ihnen auch, weil es auch uns hätte treffen können und weil es auch weiterhin jede von uns treffen kann. Jeder Femizid ist ein Angriff auf alle Frauen und alle Queers!
An dieser Stelle möchten wir auch unsere volle Solidarität mit allen Menschen ausdrücken, die heute und an jedem anderen Tag für die Legalisierung bzw. gegen die Illegalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen protestieren und auf die Straße gehen, so wie aktuell in Polen. Wir wünschen euch allen ganz viel Kraft!
Wir danken auch der Orga der Demo heute und allen, die seit so vielen Jahren an Opfer rechter Gewalt erinnern und sich engagieren. Danke für die Einladung, sprechen zu dürfen. Rechte Gewalt und Faschismus sind sehr eng verwoben mit einem patriarchalischen Bild von Männlichkeit und Geschlecht, Antifeminismus ist die ideologisch unverzichtbare Komponente und geht somit immer mit Frauen- und Queerfeindlichkeit einher. Wir, die wir hier aus verschiedenen Zusammenhängen zusammengekommen sind, um Diskriminierung bis hin zu tödlicher Gewalt zu thematisieren, haben außerdem auch gemeinsam, dass der Staat bei dem, was uns geschieht, erfolgreich wegschaut und schweigt. Wir können uns nicht auf seinen Schutz verlassen. Es bleibt also dabei: antifaschistischer Selbstschutz ist für uns alle notwendig.
Unsere Aufgabe ist es, Femizide aus dem Privaten zu holen! Mit diesem Anspruch sind wir nicht allein! Wir beziehen uns auf eine Welle großer feministischer Bewegungen, die in den letzten Jahren weltweit aktiv geworden sind, um sich patriarchalischen Verhältnissen im Kapitalismus zu widersetzen. Lasst uns auf die feministischen internationalen Bewegungen blicken, um zu lernen und gemeinsam zu kämpfen! Lasst uns gemeinsam gegen männliche Gewalt und männliche Dominanz, die Zugriffe auf unsere Körper und unsere Selbstbestimmung und für ein Leben kämpfen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse von Kapitalismus und Patriarchat überwindet! Ni una menos, es heißt Femizid!