In Gedenken an Nuno Lourenço – 1998 in Leipzig während der WM von Faschisten ermordet
In den letzten Jahren packen “die Deutschen” anlässlich internationaler Fußballturniere der deutschen Herren gerne wieder in Massen das schwarz-rot-goldene Banner aus und freuen sich lauthals darüber, “Deutsche” zu sein. In der bürgerlichen Öffentlichkeit wird das Spektakel als “unverkrampfter” Partypatriotismus gefeiert, der negative Auswirkungen nicht kennt.
Dass es aber bei diesen nationalistischen Massenveranstaltungen schon immer zu menschenverachtenden Exzessen kam, wird gerne verschwiegen. Denn damit müsste eingestanden werden, dass die Einteilung von Menschen in ein “Wir” und die “Anderen” anhand der Konstruktion vermeintlicher Nationalitäten die Grundlage für menschenfeindliche Einstellungen wie Rassismus bedeutet und bisweilen auch tödlich enden kann. So erging es vor sechzehn Jahren Nuno Lourenço nach einem WM-Spiel, dass die deutsche Fußball-Elf verloren hatte.
Der portugiesische Zimmermann Nuno Lourenço war wegen eines Montage-Auftrages für ein halbes Jahr nach Deutschland gekommen. Am 4. Juli 1998, Nuno Lourenços 49. Geburtstag, verließ er mit vier Kollegen die gemeinsame Unterkunft in Gaschwitz (Markkleeberg) bei Leipzig. Während er von einer Telefonzelle aus mit seiner Familie in Portugal telefonierte, verlor das deutsche Fußballteam bei der Weltmeisterschaft in Frankreich gegen Kroatien 0:3 und schied damit aus dem Turnier aus. Dies nahmen Neonazis zum Anlass, Jagd auf Migrant_innen zu machen. Nuno Lourenço und seine Kollegen wurden von acht 15- bis 21-jährigen Neonazis aus Leipzig und dem Leipziger Umland angegriffen. Während seine Kollegen fliehen konnten, schlugen die mit Eisenketten bewaffneten Angreifer auf Nuno Lourenço ein und schnürten ihn die Kehle zu, bis er am Boden lag. Sie traten weiter mit Springerstiefeln auf ihn ein. Dabei schrien sie „Blöde Ausländer, Scheiß-Ausländer, verpisst euch.“
Nuno Lourenço wurde nach dem Angriff mit schweren Verletzungen und inneren Blutungen in ein Leipziger Krankenhaus gebracht. Am 29. Dezember 1998 starb Nuno Lourenço in Folge des Angriffs an seinen schweren Verletzungen in Portugal.
Als Haupttäter wurde der 21-jährige Andreas Sch. aus Böhlen bei Leipzig ermittelt. Andreas Sch. soll mehrmals mit Springerstiefeln gegen den Kopf von Nuno Lourenço getreten haben. Nach seiner Aussage habe er es dabei knacken gehört. Nach der Tat sagte er: „Hätte ich ein Messer gehabt, hätte ich dieses Schwein abgestochen.“
Für die Staatsanwaltschaft war das Tatmotiv „Ausländerfeindlichkeit“ klar. Die angeklagten Neonazis gaben selber an, „Ausländer hacken“ zu wollen. Die Anklage lief auf versuchten Totschlag bzw. gefährliche Körperverletzung hinaus. Bei der Urteilsverkündung am 20. September 1999 stellte das Gericht nach mehreren Monaten zwar fest, dass Nuno Lourenço an den Folgen der Tat gestorben sei, doch sei es nicht nachweisbar, dass die Angeklagten seinen Tod billigend in Kauf genommen oder mit Vorsatz gehandelt hätten. Andreas Sch. wurde zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Mittäter erhielten Bewährungsstrafen und gemeinnützige Arbeitsstunden.
Der Haupttäter trat seine Haftstrafe erst an, als das ARD-Magazin „Monitor“ die Tatsache skandalisierte, dass der zuständige Richter, Norbert Göbel, keinen Termin für den Haftantritt bestimmt hatte. Ebenfalls hatte es die Kammer angeblich „versehentlich“ unterlassen, über die Kosten der Nebenklage zu entscheiden. Gleichzeitig verzichtete sie den Angeklagten Neonazis wie in der gängigen Praxis üblich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Damit verschuldete sich die Witwe Noemia Lourenço mit über 17.500 Euro, da sie als Nebenklägerin für die Unterbringung und Fahrtkosten der Zeugen aus Portugal aufkam.
Nuno Lourenço wird erst seit 2009 als ein Opfer rechter Gewalt in offiziellen Statistiken aufgezählt. Warum dies mehr als zehn Jahre gedauert hat, bleibt bis heute offen.
Zustände in Brasilien vor, während und durch die WM
Doch nicht nur aufgrund ihres nationalistischen Charakters sowie daraus folgender Ausgrenzung und Abwertung von Menschen lehnen wir sportliche Großereignisse, wie die Weltmeisterschaft und auch die Olympischen Spiele ab, sondern ebenso aufgrund ihrer Auswirkungen auf die Bevölkerung des jeweiligen Austragungsortes. Für weite Teile der Bürger_innen des diesjährigen WM-Gastgeberlandes, Brasilien, bedeutet dies im Konkreten: Überwachung, Verdrängung, Kriminalisierung, Ausschluss sowie die Einschränkung von Grund- und Menschenrechten.
Seit nun mehr einem Jahr finden in Brasilien Proteste unter dem Motto “Ohne Rechte wird es keine WM geben” statt. Diese fordern den freien Zugang zu qualitativ-besserer Bildung, zum Gesundheitssektor, zu bezahlbaren öffentlichen Personenverkehr und das Recht, auch weiterhin in der Stadt leben zu können. Die Demonstrant_innen kritisieren dabei nicht den sportlichen Wettbewerb als solchen, sondern die seitens der FIFA sowie anderer Organisator_innen angestrebte Eventisierung bzw. Ökonomisierung des Sports. Ebenso im Fokus der Kritik stehen die immensen Kosten von offiziell 11 Milliarden Euro, die zu 80 Prozent staatlich- und damit öffentlich-finanziert sind.
Mit der Ausrichtung der WM – sowie der in zwei Jahren folgenden Durchführung der olympischen Sommerspiele in Brasilien – gehen Aufwertungsprozesse einher, die jedoch nicht das Leben der Mehrheit der Bevölkerung verbessern, vielmehr geht es zu deren Lasten. Durch den Bau neuer Verkehrswege, Stadien, Apartments und Shoppingcentern müssen die Häuser und Hütten ökonomisch-benachteiligter Personen weichen. Lediglich ökonomisch-bessergestellte Gruppen können die Konsummöglichkeiten sowie den neu entstandenen Wohnraum nutzen. Wer es nicht kann, wird verdrängt und zwangsgeräumt. Mindestens 300.000 Menschen sind von Zwangsräumungen betroffen. Hauptsächlich trifft es die Bewohner_innen in den Favelas.
Doch nicht nur von Zwangsräumungen und Verdrängung sind sie betroffen, sondern auch vom Sicherheitsdiskurs, der Armut als Sicherheitsrisiko ansieht, wodurch Betroffene Diskriminierungen und Willkür durch Polizei- und Militäreinheiten ausgesetzt sind. Die zivile “Befriedungspolizei” (UPP) besetzt seit 2008 mehrere Favelas, um gegen Kriminalität im Allgemeinen sowie im konkreten gegen Drogenkriminalität vorzugehen. Ihr gingen Aktionen der paramilitärischen BOPE (“Bataillon für spezielle Polizeioperationen”) voraus, die wochenlang mit martialischem Aufgebot an schweren Waffen, Helikoptern und gepanzerten Fahrzeugen die Favelas nach Waffen, Drogen und vermeintlichen Kriminellen durchsuchten. Nach der militärischen Besetzung folgen die Einheiten der UPP, die dauerhaft in den Favela stationiert sind und einer Besatzungsmacht gleich kommen.
Das Sicherheitsgewerbe ist bei dieser WM ein florierendes. Mehr als eine Milliarde Euro ist für Sicherheit ausgegeben worden. Knapp 150.000 Sicherheitsbeamt_innen sollen die Spiele “schützen” und zur Vermeidung von Unruhen wurde gar eine militärische Spezialeinheit gegründet. Ebenfalls gab es auch eine Zunahme von Überwachungstechnik. Die Anzahl der Überwachungskameras verdreißigfachte sich in der Innenstadt von São Paulo auf ungefähr 1.500.
Die Proteste gegen die WM bzw. die Zustände in Brasilien sollen auch während der Spiele fortgesetzt werden, um sie somit gegenüber der Weltöffentlichkeit zu thematisieren. Doch sowohl der Staat, als auch die FIFA wollen das verhindern. So fordert der Fußball-Weltverband eine Garantie, dass Demonstrationen nicht den Ablauf des Turniers stören.
Den Weisungen der FIFA wurde Folge geleistet! Versuchte die brasilianische Regierung anfangs mit den Protestierenden in einen Dialog zu treten und Zugeständnisse zu machen, schlug das Handeln der regierenden Arbeiterpartei (PT) seit geraumer Zeit um. Es wurde auf Repression und Konfrontation gesetzt. Seither nehmen die Festnahmen sowie die Anzahl Verletzter bei Demonstrationen zu, wobei die Polizei nicht mit strafrechtlicher Verfolgung bei Rechtsverstößen rechnen muss. Um die Proteste zu kriminalisieren, versuchen Politik, Justiz und Polizeibehörden gar präventiv zu agieren und Personen zu inhaftieren, die bereits bei Demonstrationen von Repression betroffen waren.
Die Stigmatisierung geht gar soweit, dass ein Anti-Terror-Gesetz verabschiedet wurde, das Proteste verhindern soll, aufgrund eines ungenauen “Terrorismus”-Begriffs. Das Gesetz soll Strafen von 15 bis 30 Jahre Gefängnis umfassen. Damit soll der sichere Ablauf des Turniers nach FIFA-Vorgaben gewährleistet und Teilnehmende von Demonstrationen, bei denen es zu Auseinandersetzungen kommen kann, leichter bestraft werden. Auch soziale Bewegungen könnten durch das Gesetz in Zukunft dauerhaft kriminalisiert werden.
Letztlich: Die Annahme, sportliche Großereignisse seien ein Vorteil für die gesamte Bevölkerung des gastgebenden Landes, verkennt die derzeitigen Zustände in Brasilien. Politiker_innen glänzen mit der Durchführung der Spiele und überspielen dabei soziale Probleme bzw. bekämpfen die Betroffenen. Das Land, welches die WM austrägt, soll einen Imagegewinn erfahren, der letztlich wieder verwertet werden kann. Ökonomisch-benachteiligte Menschen werden und bleiben immer vom Event – deren Teilnahme durch die hohen Ticketpreise nicht möglich ist – sowie versprochenen sozialen Aufstieg ausgeschlossen.
Die Zustände benennen und entgegentreten!
Wir wollen, dass Menschen wie Nuno Lourenço nicht vergessen werden, Menschen, die nicht ins Weltbild deutscher Täter_innen passen und deshalb ihr Leben lassen mussten. Wir sind solidarisch mit allen, die sich nicht der Logik deutsch-nationaler Kartoffelaufläufen und deren rassistischem und sexistischem Gebaren unterwerfen wollen.
Mit unserer Kundgebung wollen wir an die Menschen erinnern, die rechte Gewalt erfahren mussten (und müssen). Wir wollen uns gegen den nationalistischen Irrsinn stellen und einen Kontrapunkt zu gewaltsamen Nationalstolz bieten.
Ebenso wollen wir dem Trugschluss entgegentreten, dass sportliche Großereignisse ein Vorteil für die gesamte Bevölkerung des gastgebenden Landes sind. Unsere Solidarität gilt daher jenen, die von Überwachung, Kriminalisierung, Repression, Verdrängung und Zwangsräumung betroffen sind und weiterhin all jenen, die die Kraft und die Möglichkeit haben, dagegen aufzubegehren und für eine andere Gesellschaft kämpfen.
Gegen jeden Nationalismus, Rassismus, Sexismus und Antisemitismus!
Wir scheißen auf Nationen und die WM!
Kundgebung am 16.06.2014 um 18 Uhr Connewitzer Kreuz in Leipzig
Pingback: WM-kritische Kundgebung am 16. Juni in Leipzig-Connewitz : Juliane Nagel