Am 4. April um 19 Uhr im Conne Island (Koburger Str. 3, Einlass ab 18:30 Uhr)
Anti-demokratische Inlandsgeheimdienste, unkontrolliertes V-Mann-Unwesen, Nazi-Terror-Szene, rassistische Ermittlungen und Staatsversagen: Zwingende Konsequenzen aus dem NSU-Komplex
Nachdem im Münchener NSU-Prozess nach langen Durststrecken und dem monatelangen, turbulenten Showdown der psychiatrischen Gutachter im Juli 2017 endlich das Ende der Beweisaufnahme erreicht wurde, ist jetzt der Weg frei für die Plädoyers und das Urteil. Den Auftakt machte die Bundesanwaltschaft Mitte des Jahres an acht Verhandlungstagen und übertrifft mit ihrer kontrafaktischen Zusammenfassung noch die schlimmsten Befürchtungen, selbst wenn sie unerwartet harte Strafen fordert und die ideologischen Hintergründe der Angeklagten minutiös ausleuchtet.
Außerdem beginnt im Gerichtssaal und in den Medien eine „Frontbegradigung“, die es ermöglichen soll, nach seinem Ende den Prozesses als Ruhmesblatt des Rechtsstaates abfeiern zu können, obwohl die wesentlichen Fragen bis heute unbeantwortet sind und niemand deren Beantwortung mehr im A 101 des Münchener Strafjustizzentrums erwartet.
Mit dem Beginn der Plädoyers der Nebenklage jedoch schlägt im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München noch einmal die Stunde der Wahrheit: Mit brillanten und aufeinander abgestimmten Schlussvorträgen fächerten die Vertreter der Betroffenen des NSU-Terrors noch einmal den ganzen Skandal auf, den der „NSU-Komplex“ darstellt und zu dessen Aufarbeitung und Aufklärung der Mammutprozess auch nach 400 Verhandlungstagen und viereinhalb Jahren Laufzeit nicht eben viel beigetragen hat. Beantwortet sind die allerwenigsten Fragen vom Beginn des Prozesses, geklärt kaum eine der zahllosen, haarsträubenden Ungereimtheiten, die die Diskussion bestimmen. Gesellschaftliche und politische Konsequenzen spielen im Alltag vor Gericht und in den (unterdessen DREIZEHN) Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen so gut wie keine Rolle.
Im Gegenteil, die Zuspitzung: Dem Inlandsgeheimdienst konnte nichts Besseres passieren als der „NSU“, ist so gültig wie schon kurz nach dem Aufliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Bei immer neuen entpolitisierten „Sex & Crime“-Schlagzeilen im NSU-Kontext punkten Medien in der kurzlebigen Aufmerksamkeitsökonomie ohne die wesentlichen Fragen zu stellen.
Hinter dem Agieren des terroristischen NSU und seines wohl Hunderte Personen umfassenden Unterstützer_innen-Netzwerks öffnete sich das Panorama des wohl ‚größten Geheimdienstskandals der Geschichte der BRD und eines unvorstellbaren behördlichen Rassismus‘ in den Mordermittlungen. Gegen die Familien und das soziale Umfeld der Opfer und die Ermordeten selbst wurde über Jahre mit kruden Vorwürfen und rassistischen Anschuldigungen ermittelt. Für die betroffenen Familien eine bis zu einem Jahrzehnt währende Demütigung, ohne dass je auch nur ansatzweise Spuren ins Nazi-Milieu verfolgt worden wären.
Wie weit staatliche Verstrickung in das Geschehen gegangen ist, ist bis heute nicht im Geringsten geklärt, im Gegenteil: ein beispielloser Vertuschungs- und Obstruktionsskandal der unter Verdacht stehenden Behörden (Polizei, Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“, Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD) usw.) überschattet selbst die Aufklärungsbemühungen Parlamentarischer Untersuchungsausschüsse (im Bundestag I + II, in den Landesparlamenten von Thüringen I + II, Sachsen I + II, Hessen, Baden-Württemberg I + II, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Brandenburg und einem „Ausschuss light“ in MV) und des NSU-Prozesses vor dem Oberlandesgericht in München (seit 6.5.2013).
Da werden Informationen vorenthalten und manipuliert, Akten geschreddert oder zurückgehalten und eine Aufklärung des Komplexes der Nazi-Informant_innen (sog. V-Leute) hintertrieben. Viele ungeklärte Fragen und haarsträubende Ungereimtheiten sind nach wie vor offen. Welche nationalen Netzwerke mit dem und internationalen Verbindungen zum NSU nachweisbar sind, ebenso.
Aber auch eine kritische und linke Öffentlichkeit hat von dem mörderischen Agieren des NSU keine Notiz genommen und sich von den Medien, die die Polizeiversionen ungeprüft und auflagensteigernd skandalisiert übernahmen, den Bären der kriminellen Machenschaften im „Ausländermilieu“ aufbinden lassen: niemand hat gegen die Etikettierung der grausamen Hinrichtungen als „Döner-Morde“ je lautstark protestiert oder – außer den Betroffenen – auch nur Zweifel angemeldet.
Auch nachdem in Dortmund und Kassel, nach der Ermordung des Kioskbesitzers Mehmet Kubaşık und des jungen Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat am 4. bzw. 6. April 2006, tausende Menschen migrantischen Hintergrunds unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ demonstrierten, wachte die Öffentlichkeit – mit den rassistischen Erklärungen offenbar einverstanden – nicht auf.
Und während des laufenden NSU-Prozesses explodiert – im Gefolge der Ankunft zehntausender Geflüchteter – die rassistische Gewalt gegen Nicht-Deutsche und Andersdenkende, im Internet quellen die Sozialen Netzwerke übelriechend über vor rassistischer Hetze, die Sagbarkeitsgrenzen rassistischer, gewalttätiger und nationalistischer Äußerungen sind fast gänzlich gefallen und die Wahlergebnisse einer erschreckend offen völkisch-nationalistische Partei wie der AfD, in der sich zahlreiche Neonazis, Holocaustleugner, rechte Verschwörungstrolle und Antisemiten tummeln, gehen zweistellig durch die Decke.
Immernoch nur verhalten und erst langsam artikuliert sich ein Aufschrei, der all das nicht mehr zu akzeptieren bereit ist und beginnt, eine öffentliche Diskussion der Skandale, des behördlichen und gesellschaftlichen Rassismus und der enormen Gefahren für das Gemeinwesen, die von den unkontrollierbaren (Inlands-)Geheimdiensten ausgehen, zu erzwingen.
Einen großen Schub erfuhr diese öffentliche Skandalisierung etwa durch das „NSU-Tribunal“ in Köln Mitte im Mai 2017 mit seiner umfangreichen „Anklageschrift“. Zu dieser Diskussion soll der Vortrag von Friedrich Burschel beitragen.
Friedrich Burschel ist Referent zum Schwerpunkt Neonazismus und Strukturen/Ideologien der Ungleichwertigkeit bei der Akademie für Politische Bildung der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin. Er ist akkreditierter Korrespondent des nicht-kommerziellen Lokalsenders Radio Lotte Weimar im NSU-Prozess und Mitarbeiter von NSU-Watch (nsu-watch.info). Seine Audio- und Printbeiträge zum Prozess und zum NSU sind auf dem Antifra-Blog http://antifra.blog.rosalux.de oder auf der RLS-Homepage http://www.rosalux.de/index.php?id=24495 zu finden.
Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die neonazistischen Parteien oder Organisationen angehören, der Neonazi-Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.