15.02. Demonstration Magdeburg: „Kein Freispruch für Nazis und Justiz!“

Kein Freispruch für Nazis und Justiz – Rassismus und Faschismus bekämpfen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

Am 21.9.2013 griffen neun Neonazis einen Menschen in Bernburg aus rassistischen Motiven an. Der Mann wurde beim abschließen seiner Gaststätte rassistisch beschimpft, danach mit Bierflaschen zu Boden geprügelt. Er erlitt lebensbedrohliche Schädelbrüche und lag lange Zeit auf der Intensivstation im künstlichen Koma. Die Verletzungen sind so stark, dass der Betroffene, nach Auskunft der Ärzte, bleibende Schäden davon getragen hat. Am 20. Februar 2014 wird der Prozess gegen die Täter eröffnet. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg tut sich wie so oft schwer damit ein rassistisches Tatmotiv zu erkennen – zum Nachteil des Betroffenen und im Sinne der Täter.

Die Täter, einschlägige Nazis

Die Angreifer sind bekannte Nazis aus der Schönebecker Kameradschaftsszene, die seit Jahren mit brutalen Übergriffen in der Region auf sich aufmerksam machen. Francesco L., eine zentrale Figur dieser Gruppe, hat dabei eine einschlägige Vorgeschichte.

Ein Übergriff unter seiner Beteiligung am 9. Januar 2006 macht dabei überregionale Schlagzeilen. Gemeinsam mit drei weiteren Rechten hatte Francesco damals den 12-jährigen Kevin in Pömmelte (in der Nähe von Schönebeck) über eine Stunde lang gedemütigt und körperlich misshandelt. Der Junge wurde mehrfach mit einer Gasdruckpistole bedroht, massiv getreten und geschlagen. Ihm wurde eine Zigarette auf dem Augenlid ausgedrückt und er wurde von der Gruppe gezwungen, auf Fragen mit “Jawohl, mein Führer” zu antworten. Eine Antifa-Demonstration im Februar 2006 in Schönebeck, die auf die Nazistrukturen und die Täter aufmerksam machen wollte, wurde von Nazis aus einem leerstehenden Haus mit Feuerwerkskörpern und Farbe angegriffen. Im Laufe des Tages kam es zu mehreren Angriffen von Nazis auf AntifaschistInnen in der Stadt. Francesco L. wurde als Haupttäter des Angriffs in Pömmelte zu 3 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Kevin verstarb im Jahr 2008 aus ungeklärter Ursache, ob es Spätfolgen des Übergriffs waren ist nicht bekannt.

Im gleichen Jahr wurde die frühzeitige Haftentlassung von Francesco genehmigt. Im Januar 2011 griff er erneut, mit mindestens drei weiteren Nazis, einen Imbiss in Schönebeck an. Mit den Worten: „Du bist kein Deutscher!” schlugen sie mit Schlagstöcken und Stuhlbeinen auf den Inhaber sowie auf Gäste des Lokals ein. Alle Betroffene erlitten Verletzungen und Hämatome am Kopf, im Gesicht und am Oberkörper. Francesco erhielt wiederrum eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung.

Im Jahr 2012 griff Francesco wieder mit seinen Kameraden zwei Jugendliche an. Dieses Mal sollte er dafür auch ins Gefängnis, doch er ging in Revision. Im September 2013 hätte er diese Haft antreten müssen. Jedoch zog er noch einmal mit seinen Kameraden durch die Region und griff in Bernburg den 34-jährigen Imbissbesitzer an.

Nach dem lebensbedrohlichen Angriff in Bernburg, nahm die Polizei drei der Täter in Untersuchungshaft. Jedoch wurden Familienmitglieder des Betroffenen in Bernburg nach der Tat wiederholt zum Ziel rassistischer Angriffe. Der Neffe wurde zwei Wochen später mit Softair-Waffen beschossen, als er die Tür seines Restaurants in Calbe verschließen wollte. Dem Vater wurde am selben Wochenende der Briefkasten seiner Wohnung gesprengt. Eine Woche später wurden an die Garage der Schwägerin rassistische Parolen und ein Hakenkreuz gesprüht. Die verantwortliche Polizeibehörde will zwischen den Vorfällen jedoch keinen Zusammenhang sehen – rassistischer Terror unter Duldung der Behörden.

Verschweigen und wegschauen hat in Sachsen-Anhalt lange Tradition

In Sachsen-Anhalt wird sich seit mehr als 20 Jahren schwer damit getan gegen rechte Schläger, Nazis und auch Mörder in Uniform zu ermitteln. Viel mehr bestimmen vertuschen, verschweigen und wegschauen die Praxis von Polizei und Politik im Land. Die Liste ist lang und hier nur Bruchstückhaft wiedergegeben. Angefangen im Jahre 1992 als 60 Nazis eine Party von Punks überfielen und den 23-jährigen Torsten Lamprecht ermordeten. Die Polizei schaute damals nur zu wie die Nazis mit Baseballschlägern, Stahlrohren und Signalmunition die Punks angriffen. Lediglich ein Nazi wurde verurteilt, wer Torsten ermordete ist bis heute ungeklärt.

Am 12. Mai 1994 sorgten die so genannten „Himmelfahrtskrawalle“ für internationales Aufsehen. Stundenlang konnten Nazis und Hooligans MigrantInnen durch die Stadt jagen und angreifen. Auch hier schaute die Polizei nur zu. Wenn sie eingriff, dann meistens um MigrantInnen zu verhaften, die sich gegen die Angriffe der Nazis verteidigen. Außerdem gab es massive Vorwürfe, dass die Polizei mit den Tätern sympathisierte und die Angegriffen beleidigte und geschlagen hätte. Farid Boukhit wird von Nazis an jenem Tag mit Holzknüppeln so schwer verletzt, dass er später stirbt.

Am 23. Januar 1993 wurde Lorin Radu in Staßfurt von einem Polizisten im Hof des Polizeireviers erschossen. Der 21-jährige Asylsuchende hatte gegen die Residenzpflicht verstoßen. Der Polizist wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der bekannteste Fall sorgt seit Jahren für Proteste. Am 7. Januar 2005 wird Oury Jalloh widerrechtlich festgenommen und im Dessauer Polizeirevier an Händen und Füßen gefesselt und in dieser Situation in der Polizeizelle angezündet. Bis heute unternimmt die Polizei und Justiz alles dafür um ihre These vom angeblichen Selbstmord Ourys aufrechtzuerhalten. Seit letztem Jahr liegt ein Gutachten vor, welches darlegt, dass Oury Jalloh nur mit einer größeren Menge an Brandbeschleuniger ermordet worden sein kann. Kaum jemand rechnet noch damit, dass der Mord an Oury Jalloh nach 9 Jahren aufgeklärt wird und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Denn auch zwei weitere Todesfälle, die sich im Dessauer Polizeirevier „ereigneten“, wurden bis heute nicht aufgeklärt, geschweige denn ernsthaft untersucht.

Justiz, Polizei & politische Einordnung

Menschen die für die Anerkennung der Opfer rassistischer und rechter Gewalt und Mordverbrechen kämpfen, müssen sich aus der bürgerlichen Ecke immer wieder anhören, dass das Strafrecht keine politischen Straftaten kenne. Mithin wird der absurde Vorwurf erhoben, dass man ein Gesinnungsstrafrecht einfordere, oder die juristische Urteilsfindung vorweg nehmen würde, wenn man auf die oft offensichtliche rassistische Motivation der TäterInnen hinweist.

Wer allerdings die Augen vor der politischen Durchdrungenheit der Justizorgane verschließt, ist idealistisch bis naiv: Sowohl RichterInnen als auch StaatsanwältInnen sind DienerInnen des bürgerlichen Staates. Sie sind dabei nicht nur dessen Regeln unterworfen, sondern sind auch diejenigen, die sie im staatlichen Interesse betätigen und durchsetzen. Es gibt aber kein „neutrales“ staatliches Interesse: Das Strafgesetzbuch ist so wenig wie das Grundgesetz eine unabänderliche Tatsache, sondern wird durch darauf bezogene Entscheidungen juristisch und politisch ausdefiniert. In diesem Sinne kann der Umgang der Justiz nicht frei von politischen Deutungen und der gesellschaftlichen Situation sein. Die oft sehr vorschnelle Feststellung, es läge kein rassistisches Motiv vor, ist bereits eine solche politische Deutung – wohlgemerkt seitens der Anklage.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass auf der institutionellen Seite kein Interesse vorliegt, die rassistischen Motive solcher Taten anzusprechen. Dies entspricht dem politischen und gesellschaftlichen common sense, menschenfeindliche Einstellungen nicht oder gar als Produkt der Verhältnisse anzuerkennen. Wir allerdings wollen diese Angriffe in einen gesellschaftlichen Kontext einordnen und vor diesem Hintergrund politisch bewerten. Dieser Hintergrund wird nicht dadurch „neutral“, dass man ihn für unpolitisch erklärt. Rassismus verschwindet nicht, indem man ihn wegdefiniert. Denn ohne diese entscheidende politische Komponente würde es nicht zu solchen Übergriffen kommen.

Es hat sich nichts geändert

Auch im aktuellen Fall von Bernburg will die Staatsanwaltschaft trotz eindeutiger Aussagen der Täter zur Tatzeit und ihrer Vergangenheit kein rassistisches Motiv beim Angriff auf den Betreiber des Imbiss erkennen.

Diese Linie entspricht im Grunde genau der Art und Weise, wie die deutsche Gesellschaft seit mehr als 60 Jahren mit ihren Verbrechen umgeht. Mit allen Mitteln wird verleugnet, dass die Täter aus den eigenen Familien, aus den eigenen rassistischen Reihen kamen und kommen.

So auch heute: wenn Deutsche so genannte „Ausländer“ angreifen oder ermorden, soll das nichts mit ihrem Hass auf diese zu tun haben, sondern eher z. B. mit Alkohol, Angst, Arbeitslosigkeit, Familienkrach, schlechte Laune, schlechtem Wetter. Manche von ihnen sind organisierte Nazis, andere sind es nicht. Manche sind betrunken, andere sind nüchtern. Wenige werden bestraft, unzählige laufen frei herum. Sie wissen, was sie tun, und vor allem wissen sie, wem sie es anzutun haben.

Aber davon wollen Staatsanwaltschaft und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit nichts wissen. Es sind dann nur „irgendwelche“ rassistischen Äußerungen, die nicht auf eine menschenverachtende Gesinnung und schon gar nicht auf eine daraus motivierte Mordbereitschaft schließen lassen. Warum auch? Sie müssten ihre eigenen Vorurteile, ihre eigenen Vorstellungen von Nationalismus und von „als fremdartig“ Angesehene überdenken. Wenn sie das täten, würden einige sich vielleicht selbst in den Angreifern wieder entdecken. Dies wollen sie am allerwenigsten.

Und so können sich die Täter auch weiterhin sicher sein, dass sie für ihr Handeln zwar manchmal ins Gefängnis kommen. Im Großen und Ganzen aber mit akzeptierender Sozialarbeit, neuen rassistischen Gesetzen, noch umfassenden Kriminalisierung von MigrantInnen und noch schnelleren Abschiebung jener angeblich „kriminellen Ausländer“ belohnt werden. StaatsanwältInnen und RichterInnen sorgen dafür, dass die Ausblendung des rassistischen deutschen Alltages auch institutionell abgesichert und aktenkundig wird. Wir werden dies vielleicht nicht verhindern können, aber wir können versuchen, dass nicht ein weiteres Mal ein rassistischer Angriff unter den Teppich gekehrt wird.

Deswegen kommt zur Demonstration und besucht den Prozess.
Schafft Öffentlichkeit und zeigt euch solidarisch.
Für eine Gesellschaft ohne Rassismus!

Demonstration 15.2.2014 15 Uhr Hauptbahnhof Magdeburg

Zugtreffpunkte

Leipzip
12:15 Uhr Leipzig HBF in der Nähe des Infopoints

Berlin
13:00 Berlin Hbf Gleis 14. Abfahrt 13.11