Rede zur Gedenkveranstaltung für Nuno Lourenço

Wir dokumentieren unsere Rede, die wir gerne am 4. Juli 2024 gehalten hätten, aber aus unterschiedlchen Gründen nicht halten konnten:

Hallo wir sind Gruppe „Rassismus tötet!“  aus Leipzig und freuen uns sehr heute hier sein zu dürfen. Seit über zehn Jahren beschäftigen wir uns mit Todesopfern rechter Gewalt in Leipzig und Umgebung. In dieser Zeit haben wir viele Gedenkveranstaltungen veranstaltet, wie 2017 hier in Gaschwitz, unzählige Stunden recherchiert, verschiedene Texte veröffentlicht, eine Ausstellung konzipiert und an verschiedenen Orten in Leipzig gezeigt. Dieses Jahr wird die überarbeitete Ausstellung eröffnet, darüber hinaus planen wir mit verschiedenen anderen Initiativen und Personen eine interaktive Gedenkwebseite. Wir wollen damit zu einer weiteren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Taten und den menschenverachtenden Ideologien, wie Rassismus anregen.
 
Am 4. Juli 1998 verbrachte Nuno Lourenço, weit weg von seiner Familie in Portugal, seinen 49 Geburtstag hier in Sachsen. Es sollte sein letzter bleiben, denn Nuno wurde hier in Gaschwitz von Rassisten brutal angegriffen und erlag ein halbes Jahr später seinen schweren Verletzungen in Portugal
 
Nuno Lourenço kam aus einem kleinen Dorf in Portugal, war in prekären Verhältnissen aufgewachsen und musste schon früh in der Ferne Arbeit suchen um sich und seine Familie versorgen zu können. Seine Ehefrau Emilia und seine zwei Söhne beschrieben ihn als liebevollen Familienvater. 
 
Er kam wie viele andere Gastarbeiter nach Deutschland. Er arbeitete in Leipzig auf der Großbaustelle der neu entstehenden Mediacity des MDRs. Dort arbeitete er als Zimmermann und lebte in einer Unterkunft in Großdeuben.
 
An dem Abend waren Nuno und seine Kollegen in Gaschwitz unterwegs, als sie von den Tätern angegriffen wurden. Seine Kollegen konnten fliehen, Nuno Lourenço wurde festgehalten und mit Eisenketten und Springerstiefelen traktiert. Schwerverletzt wurde er in eine Klinik eingeliefert. 
Es war der 4. Juli und Deutschland verlor im Achtelfinale der Fußball-WM 1998 gegen Kroatien 0:3. Dies genügte den Tätern als Motiv ihres Angriffes, ihre nationale Ehre gekränkt, suchten sie die vermeintlichen Verursacher.
Nachdem sie das Fußballspiel im Bowlingzentrum Markkleeberg geschaut hatten, wollten sie „Ausländer hacken“, wie einer der Täter aussagte. Letztendlich verletzten und töteten sie Nuno. Einer der Täter prallte später damit, dass wenn er ein Messer gehabt hätte, hätte er Nuno „abgestochen“. Ihr Weltbild war durchdrungen von Nationalismus und Rassismus, ihr Feindbild „die Ausländer“. 
 
Auch dieses Jahr findet wieder ein Fußball-Großereigniss statt – die Europameisterschaft. Diesmal ist Leipzig auch ein Austragungsort. Immer wieder kommt es im Rahmen von Fußball-Großveranstaltungen zu rassistisch-motivierten Äußerungen und Angriffen. Auch während des sog. „deutschen Sommermärchens“ 2006 ließ sich eine Häufung von diskriminierenden Straftaten feststellen. Die hässlichen Seiten dieses als harmlosen „Partypatriotismus“ bezeichneten Events bleiben aber weit weniger in Erinnerung als bunte Fußballbilder.
Für die später ermittelnde Staatsanwaltschaft Leipzig war das Tatmotiv „Ausländerfeindlichkeit“ klar. Später erhob sie Anklage für versuchten Totschlag bzw. gefährliche Körperverletzung. Bei der Urteilsverkündung am 20. September 1999 stellte das Gericht nach mehreren Monaten zwar fest, dass Nuno Lourenço an den Folgen der Tat gestorben sei, doch sei es nicht nachweisbar, dass die Angeklagten seinen Tod billigend in Kauf genommen oder mit Vorsatz gehandelt hätten. Andreas Sch. wurde zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Mittäter erhielten Bewährungsstrafen und gemeinnützige Arbeitsstunden. Gleichzeitig wurde darauf verzichtete den angeklagten Neonazis die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Damit verschuldete sich die Witwe Noemia Lourenço mit über 17.500 Euro, da sie als Nebenklägerin für die Unterbringung und Fahrtkosten der Zeugen*innen aus Portugal aufkommen musste – ein Skandal der keiner war, da es fast niemanden in Sachsen interessierte.
Lange wurde Lourenço auch nicht staatlich als Todesopfer rechter Gewalt offiziell anerkannt. Erst 2009 ganze 10 Jahre später kam die Anerkennung: Nuno Lourenço wird als eines von 109 Todesopfer rechter Gewalt seit 1990 von den Behörden aufgeführt. Diese nachträgliche Anerkennung ist nicht nur wichtig für die Sichtbarmachung rechter Gewalt in Deutschland, sondern eröffnet auch den Hinterbliebenen die Möglichkeit auf Entschädigung, die gerade im Fall der Familie Lourenco so bitternötig war. 
Bis heute erinnert sehr wenig an Nuno Lourenço und andere Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig und Umgebung. Umso froher macht es uns, dass ihr und wir heute hier sind und das es in den letzten Jahren eine kontinuierliche Erinnerungsarbeit in Gaschwitz gibt, die Nuno Lourenço nicht in Vergessenheit geraten lässt
 
Denn unser Gedenken muss sich gegen das Vergessen richten, denn wenn die Opfer rechter Gewalt in Vergessenheit geraten, dann waren die Täter erfolgreich darin, sie zum Verschwinden zu bringen. Unser Gedenken muss sich auch gegen die dauernde Entpolitisierung rechter Taten und gegen die Geschichtslosigkeit der ständigen Überraschungen richten. Rechte Gewalt ist und bleibt bis heute ein gesellschaftliches Problem, die Täter von gestern leben teils hier in Gaschwitz ungestört ihr Leben, während das Leben Nunos nicht mehr ist. Unser Gedenken erinnert auch an das Leid der Hinterbliebenen, an das Versagen der deutschen Justiz und seiner Beamten und das ausbleiben einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Ideologien wie Rassismus. Wir wissen, dass die Ermordung von Nuno Lourenço kein Einzelfall ist und auch keine Tat betrunkener Fußballfans. In Sachsen wurden seit 1990 mindestens 17 Menschen von Neonazis ermordet, hinzu kommen 8 Verdachtsfälle. Die Mehrheit von ihnen wurde in und um Leipzig getötet. 
Erinnert daran, wie heute hier bei der Veranstaltung, wird dagegen selten. All diese Menschen sind nicht mehr unter uns, weil die Täter ihre menschenverachtende Ideologien nicht nur propagierten, sondern in die Tat umsetzten. All das werden wir nicht vergessen. Wir dürfen jedoch nicht im bloßen erinnern verharren, sondern mussen aktiv werden gegen Rassismus, rechte Gewalt und Faschismus.