Am 23. August 2008 wird der Obdachlose Karl-Heinz T, 59 Jahre alt, in Leipzig am Schwanenteich hinter der Leipziger Oper von dem Neonazi Michael H. mehrfach verprügelt. Am 6. September 2008 stirbt er im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen.
In der Nacht nach einer Nazi-Demo unter dem Motto „Todesstrafe für Kinderschänder“, organisiert von den neonazistischen „Freien Kräften“, zogen zwei junge Männer durch den Park hinter der Leipziger Oper.
Dort fanden sie den auf einer Bank schlafenden Karl-Heinz T. Der Täter Michael H. teilte ihm mit, dass er „nicht hier schlafen“ solle. Direkt fing er an, Karl-Heinz T. ins Gesicht zu treten und zu schlagen. Der Täter verließ den Tatort für eine halbe Stunde, kehrte jedoch zurück und griff den 59-Jährigen erneut an.
Gefunden wurde Karl-Heinz T gegen sieben Uhr von einer Studentin, welche sich an einer nahegelegenen Polizeiwache meldete. Doch weder wollten die Beamt*innen die Personalien der Zeugin, noch rückten sie aus. Erst anderthalb Stunden später erreichten die Beamt*innen den Tatort.
Die spätere Obduktion ergab massive Kopfverletzungen und Hirnblutungen, eine Halswirbelfraktur sowie Prellungen am ganzen Körper.
Am 27. März 2009 verurteilte das Leipziger Landgericht den 18-jährigen Neonazi Michael H wegen „heimtückischen Mordes“ zu einer Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten. Der Staatsanwalt erklärte in seinem Plädoyer, das Opfer habe nichts getan, „außer im Park nachts zu schlafen“. Sein Mörder habe den Mann „zum bloßen Objekt degradiert“. “Aus seiner schlechten Laune heraus störte ihn der Anblick des schlafenden Mannes, dessen Schlafplatz er willkürlich als unpassend bewertete”, heißt im Urteil.
Das Gericht erkannte im Gegensatz zum Verteidiger des Neonazis keinen rechts motivierten Hintergrund.Von polizeilicher Seite wird der Vorfall als „normale Straftat unter Alkoholeinfluss“ eingestuft.
Wohnungslose werden von Staat und Gesellschaft ausgegrenzt. Rechte Täter*innen praktizieren gegen wohnungslose Menschen einen Sozialdarwinismus der Tat, der durch einen Sozialdarwinismus des Wortes vorbereitet wird. Offenbar steht die Gewalt gegen Wohnungslose und sozial Schwache im unmittelbaren Zusammenhang mit gesellschaftlichen Klima und der kapitalistischen Maxime von der Verwertbarkeit der Menschen. Gewalt gegen Wohnungslose ist leider immer noch Alltag. Vor allem jene Menschen, die ohne Unterkunft auf der Straße leben und somit über keinen privaten Rückzugsraum verfügen, werden immer wieder Opfer von menschenverachtenden Angriffen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe dokumentiert seit 1989 entsprechende Straftaten mittels einer systematischen Presseanalyse. Mehr als 2.200 Fälle umfasst heute die Gewaltstatistik – 565 davon mit tödlichem Ausgang (Stand: 29.04.2020). Diese Zahlen sind schockierend. Gleichzeitig ist klar, dass die Dokumentation der BAG W nur die Spitze des Eisbergs zeigt. Ein Großteil der Taten wird überhaupt nicht öffentlich. Viele werden aufgrund von fehlendem Vertrauen in die Ermittlungsbehörden oder aus Angst vor der Rache der TäterInnen gar nicht erst zur Anzeige gebracht. Medien berichten zudem nur über ausgewählte – meistens über besonders brutale oder absurde – Fälle. Nach einer kurzen Welle der öffentlichen Empörung verhallen dann schnell die Forderungen nach Aufklärung, Zivilcourage und Schutzräumen in der hohen Taktfolge der sensationsorientierten Berichterstattung. Zurück bleiben die Opfer, deren Angehörige, Freunde und Bekannte sowie alle wohnungslose Menschen, in dem Wissen, dass sie nahezu immer und überall angegriffen, verletzt und getötet werden können.
Was meinen wir mit Sozialdarwinismus
Der Sozialdarwinismus wendet das von Charles Darwin (1809 – 1882) mit Bezug auf die Tier- und Pflanzenwelt formulierte “Naturgesetz der Selektion” (Evolutionstheorie) auf Menschen und ihre sozialen Verhältnisse an. Er beruht auf der Annahme, dass Menschen von Natur aus ungleich sind und nur die Stärksten im gesellschaftlichen Konkurrenzkampf bestehen können. Daraus wurde die als wissenschaftlich bezeichnete Unterscheidung zwischen “wertvollem”, “minderwertigem” und “wertlosem” menschlichen Leben entwickelt.
Heutzutage wird er zur Bezeichnung von menschenverachtenden Perspektiven verwendet, die gesellschaftliche Randgruppen – etwa Wohnungslose, Sozialhilfeempfänger oder Menschen mit Behinderungen – als „minderwertig“ oder überflüssige oder als Menschen, die der Gesellschaft Kosten verursachen, ohne ihr zu nutzen, abqualifizieren.
Sozialdarwinismus ist ebenso ein Merkmal politisch rechts motivierter Gewalt.