Rassismus tötet!

Im August 2012 jährte sich das Pogrom von Rostock Lichtenhagen zum 20. Mal. Die Kampagne “RASSISMUS TÖTET!” thematisiert die Pogrome Anfang der 90er Jahre sowie die deutsche Flüchtlingspolitik und die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl im Jahr 1993. Anspruch und Ziel ist es Gegeninformation und Gegenmacht zum gesamtgesellschaftlichen Rassismus aufzubauen.

Mehrere Gruppen fanden sich unter dem Label „Rassismus tötet!“ zusammen und beteiligten sich an der bundesweiten Kampagne, die Anfang 2014 ohne Erklärung still ausgelaufen ist. Geblieben ist die Gruppe in Leipzig.

Wir dokumentieren hier den Kampagnenaufruf, Selbstverständnis und Zielsetzung von “RASSISMUS TÖTET!”:


 

Selbstverständnis und Zielsetzung

Ausrichtung der Kampagne

  • oberstes Anliegen der Kampagne ist das Gedenken an die rassistischen Pogrome und Anschläge Anfang der 90iger – gegen die Verdrängung – nicht nur am 10. oder 20. Jahrestag!
  • in diesem Zuge ist es uns wichtig, das gesellschaftliche und politische Klima in Deutschland der Tage und die Ursachen hierfür klar herauszuarbeiten, um zu wissen, wie ein Pogrom aus der sog. Mitte heraus funktioniert.
  • Wir möchten über Rostock hinaus arbeiten, denn die Fanalwirkung von Rostock, die zur Veränderung des Grundgesetzes führte, bestimmt bis heute die deutsche Einwanderungspolitik und somit die deutsche Realität.
  • Wir stehen ganz klar auf der Seite der Opfer und sehen in der Vorgehensweise, den Tätern bzw. Rassist_innen erhöhte, mediale Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen eine pervertierte Aufarbeitung rassistischer Gewalt.
  • Nicht nur die 90er Jahre haben gezeigt, dass die Wechselwirkung zwischen rassistischer Gewalt und Täter-Ikonisierung zu Rückkopplungseffekten führt. Dennoch wird heute im Zusammenhang mit neuen Erscheinungen des Rassismus und rassistischer Gewalt mit den selben Mitteln gearbeitet. Durch die hergestellte Nähe zu den Tätern und ihrem rassistischen Gedankengut wird eine Identifizierung mit ihnen und ihren „Thesen“ geschaffen. Die Opfer hingegen werden aus dem öffentlichen Gedächtnis verdrängt, sie und ihre Angehörigen erfahren nicht selten den rassistischen Zynismus der deutschen Gesellschaft. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Ideologie der Täter findet nicht statt, zu Gunsten einer oberflächlichen und senationsheischenden Betrachtung und Wiedergabe der Täter.
  • Wir stellen angesichts Sarrazin und NSU die Frage: wo steht die deutsche Gesellschaft und Politik 20 Jahre nach dem neuerlichen Sündenfall der Deutschen in alte Verhaltensmuster und „Lösungsstrategien“? Deutschland strebt nach neuer Macht, politisch verfolgte und vertriebene Flüchtlinge werden gnadenlos abgeschoben, während im Inland die „Ausländer-raus!-Ideologie“ neue, seltsame Blüten namens „Integrations“- oder „Kopftuch-Debatte“ trägt.

Auf Grundlage dieser Prämissen verfolgt die Kampagne folgende Ziele:

  • Aufarbeitung der Ereignisse in Hoyerswerda, Mannheim und Rostock und Eingang dessen als Pogrome benannt in das deutsche Geschichtsbewusstsein. Diese Pogrome stehen im engen Zusammenhang mit der Wiedervereinigung 89/90.Dies wollen wir über die Mitgestaltung des öffentlichen Diskurses, also die Öffentlichkeitsarbeit erreichen.
  • Konfrontation der meist neonazistischen Mörder und der damaligen Verantwortlichen in der Politik mit ihren Handlungen in der Vergangenheit.
  • Aufdeckung der inoffiziellen Strukturen des Bündnisses zwischen Elite und Mob, wie sie vor allem in Rostock gegriffen haben.
  • Rehabilitierung und Gedenken der Opfer des deutschen Rassismus. Hierfür steuern wir die bundesweite Vernetzung der lokalen Gedenkinitiativen für die Opfer an. Dies soll sowohl dem Austausch von Erfahrungen und Inhalten als auch der effektiven Mobilisierung zu Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen dienen.
  • Widerstand gegen den strukturellen Rassismus organisieren. Ob Lagerunterbringung, Grenzregime oder Neubau von Abschiebeknästen: Es gilt die Kämpfe um das Gedenken an die rassistischen Anschläge der 90er Jahre und die Kritik an der Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl mit aktuellen antirassistischen Kämpfen zu verbinden.
  • Widerstand gegen den „neuen“ Rassismus a la Sarrazin und anderer Rechtspopulist_innen. Sarrazin hetzt und die NSU mordet, beide eint ein Feindbild und ein Motiv: „Ausländer raus!“. Deswegen: kein Podium für Rassisten! Blockieren, stören, verhindern, wo sie auftauchen und bejubelt werden.
    Zur Erreichung der Ziele plädieren wir für eine dezentrale Kampagne

Im Juni 2013 jährte sich die Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl zum 20. Mal. Wir sehen in den deutschen Abschottungsmaßnahmen mit Gesetzen gesichertes Unrecht, dem nur ökonomische, jedoch nicht humanistischer Überlegung zu Grunde liegt. Da der gezielt geschürte rassistische Konsens des Volksmobs, der Politik und der Medien den Handlungen voran ging, aus denen letztendlich die Gesetzesänderung resultierte, liegt der enge Zusammenhang zwischen beiden Themenkomplexen – Rassismus und Asylrechtabschaffung – auf der Hand.
Das Gedenken an die Pogrome in Rostock und der 20. Jahrestag der Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl im Sommer 2013 bilden darum den zeitlichen und aktionistischen Rahmen für die Kampagne.

Praxis:

  • Gedenken an rassistische Anschläge und Morde
    Rostock war kein Einzelfall. Überall in den „alten“ und „neuen“ Bundesländern verübten Rassist_innen Anschläge gegen Migrant_innen.
    Um die Morde und Angriffe ins Gedächtnis der örtlichen Bevölkerung zu rufen, gilt es, die Erinnerung daran im öffentlichen Raum sichtbar zu machen (mit Plakaten, Nachbarschafts-Flyern u.ä.).
    Hierbei sollen vor allem die Opfer des Rassismus gewürdigt und ihre Perspektive in den Mittelpunkt gerückt werden.
  • Benennung der Akteur_innen und ihrer Verantwortung
    Die überwiegende Mehrheit der damaligen, politisch Verantwortlichen, die die Hetzkampagne gegen Flüchtlinge initiiert und die Zweidrittelmehrheit im Bundestag zur Abschaffung des grundgesetzlichen Rechts auf Asyl erzwungen haben, genießen heute den „wohlverdienten“ Ruhestand. Ebenso wie auch die rechten Drahtzieher der organisierten Angriffe auf das Leben von Migrant_innen weitgehend unbehelligt bleiben und teilweise ihr rassistisches Gedankengut weiter ausagieren können. Moralische Verantwortung jedoch verjährt nicht.  Die inhaltliche, wie auch die praktisch vollzogene Offenlegung und klare Benennung der Verantwortlichen und ihrer Handlungen vor 20 Jahren soll der Gerechtigkeit wenigstens ansatzweise genüge tun. In diesem Sinne gilt es aber auch, die Wirkmechanismen der medialen Propaganda und die diesbezügliche Rolle der Medien als Mittlerin zwischen Politik und Volksmob klarzustellen und zu analysieren.
  • Bildungs- und Informationsarbeit
    Die Website und der Youtube-Channel der Kampagne „Rassismus tötet!“ stellen Filme zum Thema zur Verfügung, die für selbstorganisierte Filmabende bzw. Filmreihen genutzt werden können. Für Thema vertiefende Veranstaltungen wird Archivmaterial und ausgearbeitete Veranstaltungen (Zeitungsausschnitte, Zitate, Fotos) bereit gestellt.
  • Informationspool
    Solltet ihr über brauchbares Text, Bild- oder Videomaterial zum Themenkomplex Asylgesetz/Pogrom/90er Jahre verfügen, dann lasst es uns doch zukommen.Die Website der Kampagne soll im Laufe der Zeit sich zu einem thematischen Informationspool werden.
  • Mobilisierung zu zentralen Demonstrationen
    Für die Mobilisierung zu Aktionen der Kampagne oder Aktionen, die von der Kampagne unterstützt werden, stellt die Kampagne Veranstaltungen und Infomaterial zur Verfügung.
  • Lokale Intervention
    Um nicht in einer bloßen, aktionsorientierten und inhaltlichen Aufbereitung bundesdeutscher Geschichte zu verharren, ist es nur logisch, auch gegen aktuelle, öffentliche Inszenierungen von Rassismus vorzugehen (Volksmob, rassistische Buchlesungen usw.)  Die Aktionen, Veranstaltungen oder Publikationen werden auf der Kampagnen-Seite veröffentlicht. Damit wird auch Initiativen die Möglichkeit gegeben, mit ihren Veranstaltungen, Aktionen usw. eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, die nicht über ein eigenes Publikationsmedium verfügen oder sich nur als informeller Zusammenhang für eine Veranstaltung zusammengefunden haben. Gleichzeitig werden auf diese Weise auch der Austausch wertvoller Inhalte und Diskussionsergebnisse zu einer komplexen Auseinandersetzung zusammgeführt.
    Jede Gruppe und Iniative, die sich mit dem Themenkomplex „Pogrom/Asylgesetzänderung/rassistsiche Morde/ staatllicher Rassismus“ befasst, wird auf Vielschichtigkeit und die zahlreichen Ansätze abzuleitender Gesellschaftskritik stoßen. Um der Komplexität und Ernsthaftigkeit dieses Themas gerecht zu werden und vor allem tatsächlich relevante Kritik formulieren zu können, ist der Austausch erarbeiteter Inhalte von großer Bedeutung. Um auch die verschiedenen lokalen Kämpfe und Veranstaltungen überregional in Verbindung mit einander zu setzen, schlagen wir die gemeinsame Verwendung des „Rassismus tötet!“-Logos vor. Das „Rassismus tötet!“-Logo ist frei verwendbar und kann von allen genutzt werden, die die oben formulierten Ziele teilen. „Rassismus tötet!“ ist nicht bloß das Logo einer Kampagne, sondern behält auch seine Gültigkeit als Losung über den zwanzigsten Jahrestag des Pogromjahres 1992 hinaus. Die Hetze des Staates, der alltägliche Rassismus, mit dem Migrant_innen sich konfrontiert sehen, die Mordlust organisierter Neonazis und des rechtem Straßenmob – all das ist in letzter Konsequenz tödlich.

Insofern gilt auch heute: Rassismus tötet!

Kampagne „Rassismus tötet!“
(Juli 2012)


 

“Rassimus tötet!”
Durch: Pogrom – Asylgesetz – Geistige Brandstiftung  – EU-Grenzregime!

Plattformaufruf der Kampagne “Rassismus tötet!”
>1992 Pogrom von Rostock-Lichtenhagen.
>1993 Abschaffung des Grundrechts auf Asyl.
>Wir Vergessen nicht!

Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen (22. – 26. August 1992)

August 1992: 400 Menschen, vor allem aus Rumänien, kampieren vor der überfüllten Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZaSt) im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen, geflohen und auf der Suche nach einem besseren Leben. Auf Grund mangelnder Unterkünfte oder sanitärer Anlagen mussten die Asylsuchenden unter freiem Himmel schlafen und dort auch ihre Notdurft verrichten.

„Wenn wir weitere Unterkünfte zur Verfügung stellen, kommen noch mehr Asylsuchende. Das zeigt die Erfahrung.“ entgegnete der damalige Rostocker Innensenator Peter Magdanz auf die Bitte für die Flüchtlinge endlich menschenwürdige Lebensbedingungen zu schaffen. Flüchtlingen und Migrant_innen die Hilfe zu verweigern, ja sogar alles in Bewegung zu setzen, damit diese sich auch ja nicht „vor der eigenen Haustür“ niederlassen, war zu dieser Zeit Communsense – Deutschlandweit, in allen Schichten, in fast allen politischen Spektren.

Da es eben keine deutschen „Volksgenossen“ waren, die dort Not litten, sondern Roma, wurde ihnen nicht Hilfe, sondern der „deutsche Volkszorn“ zu Teil. Bereits Anfang August zeichnete sich ab, dass organisierte Neonazis, in Tateinheit mit anderen Vollstreckern des „Volkswillens“, Angriffe auf die ZaSt und deren Insassen planen. Und so kam es letzten Endes. Nach mehrtägigen Angriffen war es dem Mob gelungen die Flüchtlinge aus dem Viertel zu jagen. Anschließend griffen Neonazis, rechte Jugendliche und „anständige Deutsche“ mit Steinen und Brandsätzen die nahegelegene Wohnunterkunft vietnamesischer DDR-Vertragsarbeiter_innen an – unter dem frenetischen Jubel von rund 2500 Bürger_innen. Statt Hilfe zu erhalten, wurden die 115 Vietnames_innen abgeschoben, ebenso die Flüchtlinge aus Rumänien.

Der Rassismus der Straße kam der CDU/CSU gelegen, hatte sie doch seit den 80er Jahren immer wieder Anstrengungen unternommen das bundesdeutsche Asylgesetz so zu verändern, dass die Möglichkeit in Deutschland Asyl zu erhalten de facto verunmöglicht wird. Die Deutschen seien von der „Asylflut“ überfordert, eine Änderung des Asylgesetzes sei darum dringend notwendig. Andernfalls würde sich Ähnliches wiederholen, so CDU und SPD. Die Pläne zur Gesetzesänderung lagen bereits in der Schublade, eine Kampagne gegen Asylbewerber_innen war im vollen Gange und Lichtenhagen wurde zynischer Weise als letztes Argument für die Abschaffung des alten Asylrechtes herangezogen. Jene Änderung wurde im Juni 1993 letzten Endes vollzogen.

Rassistische Zustände

Rassismus ist ein sehr reales, alltägliches Herrschaftsverhältnis, mit Hilfe dessen eine weiße Mehrheitsgesellschaft eine Minderheit entlang rassifizierter oder ethnisierter Grenzen diskriminiert – kulturell, politisch und wirtschaftlich, sie dadurch an der Teilhabe an gesellschaftlichen Bereichen ausschließt. Billiges Brot beim türkischen Bäcker, billige polnische Putzfrauen – die weißen Deutschen profitieren vom Rassismus. Zum anderen ist der Rassismus in Deutschland der Kitt der Leistungsgesellschaft: Um sich selber dadurch im alltäglichen Rennen, Rackern, Rasen des kapitalistischen Konkurrenzwettbewerbs als völkischer Blut-und-Boden-Bund überlegen fühlen zu können, braucht der_die Rassist_in einen Nagel für sein Kreuz. Wenn er oder sie als Mehrheitsdeutsche_r schon keine Anerkennung als Arbeitskraftunternehmer_in findet, bringt der Rassismus vielleicht Abfuhr für den alltäglichen Frust. Und das am besten im Rahmen nationalistischer Hegemonialansprüche. Deswegen gehören Nationalismus und Rassismus wie Pech und Schwefel zusammen.

Die rassistischen, meist massenhaften, Angriffe auf nichtdeutsche Menschen und die Asylgesetzesänderung 1993 können nicht losgelöst voneinander gesehen werden. Beide bedingen sich gegenseitig und sind Teil des rassistischen, deutschen Mehrheitskonsens. Und dieser hat Kontinuität. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit dokumentiert die Antirassistische Initiative Berlin seit 1993 die Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik:

15 Flüchtlinge starben durch rassistische Angriffe auf der Straße, 67 bei Bränden und Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. 175 Flüchtlinge starben auf dem Weg in die BRD, davon 131 an den deutschen Ost-Grenzen, 154 Flüchtlinge töteten sich angesichts drohender Abschiebung oder auf der Flucht vor dieser, 858 versuchten sich umzubringen oder verletzten sich aus Angst oder Protest gegen ihre Abschiebung, 488 Flüchtlinge wurden nach der Abschiebung in ihren Herkunftsländern misshandelt und gefoltert oder starben an Krankheiten, 31 kamen um.

Allein im vergangenen Jahr wurden 7.917 Menschen, die versuchten einzureisen, abgeschoben. Das „Ausländer raus!“-Versprechen wurde von den deutschen Volksparteien spätestens seit 1993 weitaus eloquenter und geräuschloser umgesetzt als es Neonazis und Rechtspopulist_innen bisher zu leisten vermochten. So kam beispielsweise die Initiative für ein Minarettverbot, nach Schweizer Volkspartei-Vorbild, hierzulande als erstes von der CSU.

Das Gestern im Heute begreifen

Rostock war kein Einzelfall, sondern steht stellvertretend für das rassistisch-nationalistische Gesellschaftsklima der 90er Jahre. Allein 1992 kam es fast zu 2000 Angriffen auf Asylbewerber_innen, viele davon auch auf deren Wohnunterkünfte. Mölln, Solingen, Lübeck und Hamburg sind vielen Menschen in diesem Zusammenhang noch ein Begriff, jedoch sind die meisten dieser Ereignisse aus dem kollektiven Geschichtsbewußtsein verschwunden.

Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau nehmen in diesem Kontext eine Sonderrolle ein, da es nicht allein Neonazis waren, die sich anschickten nichtdeutsche Menschen zu lynchen, sondern weil es vor allem brave Bürger waren, die diese Exzesse aus Nationalismus und Gewalt erst zu völkischen „Massenevents“ werden ließen. Die Angriffe in Mannheim-Schönau sind auch ein Beleg dafür, dass es eben nicht organisierter Neonazis bedarf um gegen Migrant_innen vorzugehen, sondern dass dies „die normalen Deutschen“ auch allein bewerkstelligt bekommen. Diesen drei Ereignissen ist jedoch gemein, dass lokale Medien und politische Akteure es tunlichst vermeiden von einem Pogrom zu sprechen. Auch heute noch werden diese Ereignisse als „Ausschreitungen“ oder „Krawalle“ euphemisiert. Gern wird deren Klassifizierung als rassistisch von offizieller Seite gemieden, maximal wird von „Fremdenfeindlichkeit“ gesprochen.

„Ich teile diese Bezeichnung für die Ereignisse von 1991, sie als Pogrom zu bezeichnen, nicht“, entgegnete Hoyerswerdas Bürgermeister Skora der Hoyerswerda-Gedenkinitiative „Pogrom91“ im vergangenen Jahr. Die Demo und ihr Anliegen, sei lediglich das Werk „Auswertiger“ und „Extremisten“. Ehemalige Betroffene des Pogroms und Antifaschist_innen wurden 2011 erneut bedroht und die Gedenkarbeit von offizieller Seite verusucht zu unterbinden. „Mit dem Aufwühlen der alten Geschichten“ endlich aufzuhören, dass forderte auch Wolfgang Engelmann, der ehemalige Bürgermeister von Mölln, 15 Jahre nach dem bei einem Brandanschlag drei Mitglieder der Familie Arslan umkamen.

Das „schlechte Image“ loswerden war nicht nur zum 20. Jahrestag der Pogrome von Hoyerswerda oberste Handlungsmaxime der lokalen Politik, sie ist es auch in Rostock. Hier schickt sich eine Melange aus Stadt und lokalen Initiativen an, um das „schlechte Image“ Lichtenhagens abzustreifen oder zumindest mit etwas mehr demokratischem Lack zu überpinseln. Der Umgang mit der eigenen Geschichte wurde und wird hier als reine Standortfrage verhandelt.

Und so geht auch heute der Lerneffekt gen Null. Noch immer werden die Geschehnisse nicht als das bezeichnet was sie waren – nämlich ein Pogrom – noch immer werden Antifas verfolgt, weil sie das tun, was eigentlich die Demokraten machen müssten: Nämlich Rassismus konsequent zu ächten. Und noch immer verwehrt Deutschland Hilfesuchenden die Einreise.

Erinnern heißt Kämpfen!

Der zwanzigste Jahrestag des Pogroms von Lichtenhagen wird medial fokussiert werden. Welches Gewicht die Folgen der Asylgesetzänderung, die Situation von Flüchtlingen und Migrant_innen oder die oft reaktionäre Aufarbeitungspolitik der Ereignisse in der Berichterstattung bekommt, können wir nicht ermessen.

Mit der Kampagne „Rassismus tötet!“ wollen wir diese Themen auf die politische Agenda setzen. Uns geht es aber auch darum die Frage aufzuwerfen: „Wo steht die Gesellschaft und die radikale Linke 20 Jahre nach Rostock? Was hat sich geändert?“. Nützlichkeitsrassismus und Sozialchauvinismus („Sarrazin-Debatte“) feiern gerade im Zuge der Krise fröhliche Umstände. Die Debatte um die Transformation von Rassismus und dessen Nutzen im kapitalistischen Normalvollzug werden darum wichtiger Bestandteil der Kampagne sein.

„Erinnern heißt Kämpfen!“ ist für uns darum keine bloße Phrase, sondern Handlungsmaxime. Es geht darum bestehende antirassistische Kämpfe u.a. gegen Lagerunterbringung, Flughafenasylverfahren oder Residenzpflicht zu unterstützen und mit dem Kampf um die Erinnerung an die Pogrome und die Gesetzesänderung 1993 zu verbinden. Gleiches gilt für den Widerstand gegen die öffentlichen Inszenierungen von Leistungsideologie und rassistischer Ausgrenzung. Den alten und neuen Tätern gilt unser Kampf, den Opfern der rassistischen Verhältnisse gilt unsere Empathie!

Mit einem Land, in dem Menschen in Polizeizellen verbrennen, weil sie nicht weiß sind, in dem Menschen von Rassist_innen totgeschlagen werden und deren Angehörige nur Hohn ernten, in einem Land, dass Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen verrecken lässt und ihnen das Leben hierzulande zur Hölle macht, werden wir keinen Frieden schließen!

Kein Mensch ist illegal!
Gegen den rassistischen Konsens!
Kein Frieden mit Staat, Kapital und Nation!